Text Michi Cech

Warum sagen wir zu Gott eigentlich „Vater“ und nicht „Mutter“? Gott ist ja kein Mann. Kommt das nur aus einem alten Gesellschaftsbild oder steckt da vielleicht doch eine Wahrheit dahinter, die wir wieder neu entdecken müssen? Was bedeutet es, ein Vater zu sein? Wir wollen einen Blick dahinter werfen.

Väter haben heute ja nicht den besten Ruf. Man denkt schnell entweder an strenge alte Herren oder aber auch an etwas lächerliche Kumpeltypen. Hast du eigentlich schon mal bemerkt, wie oft Papas in Filmen als peinliche Typen oder Witzfiguren dargestellt werden? Auf solche Väterbilder sind wir nicht stolz. Zudem müssen leider viele junge Menschen heute erleben, dass ihr Vater gar nicht da ist, weil er sie verlassen hat. Wir haben alle diese Vaterbilder vor uns. Und trotzdem wissen wir tief in uns drinnen, so sollte ein Vater eigentlich nicht sein. Ein Vater sollte für mich da sein, mir Halt geben, mich unterstützen, mich begleiten. Instinktiv wissen wir, wie ein guter Vater sein sollte.

Gott ist unser Papa

Wenn Jesus von Gott spricht, dann nennt er ihn fast immer „Vater“. Das kommt so oft in der Bibel vor, dass es fast so scheint, als wäre das seine wichtigste Message: Hey, ihr wollt wissen, wer Gott ist? Gott ist mein Vater und euer Vater!

Joh 20,17: Jesus sagte zu ihr: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.

Als die Jünger Jesus fragen, wie sie beten sollen, lehrt er ihnen das „Vater unser“. Wenn wir also Gott ansprechen, dürfen wir zu ihm „unser Vater“ sagen. Das heißt, dass wir als Christen zu Gott „Vater“ sagen, haben wir letztlich direkt von Jesus. Und Jesus sagt uns, dass Gott nicht wie ein strenger alter Herr oder ein peinlicher Kumpeltyp ist, sondern er ist ein Papa. Gerade in seiner schwersten Stunde vor seinem Tod nennt Jesus seinen Vater ganz vertrauensvoll „Abba“ – das aramäische Wort für Papa.

Mk 14,36: Er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst.

Ein Papa ist kein Macht-Typ. Ein Papa ist kein Macho und auch kein Weichei. Ein Papa ist ein Papa. Er ist für dich da und er hat dich lieb. Hier bist du einfach geborgen.

Warum nicht Mama?

Natürlich können und müssen wir uns auch fragen, warum Gott sich uns als „Vater“ vorstellt und nicht als Mama. Auch eine Mama liebt dich. Auch eine Mama ist für dich da. Vielleicht sogar noch mehr. Warum gerade also „Vater“? Gott ist ja kein Mann. Er ist auch keine Frau. Wir lesen in der Bibel, dass Mann und Frau gemeinsam ein „Bild“ Gottes sind. Gott ist Geist. Er ist kein Mann – und trotzdem ist er Vater. Warum?

Gen 1,27: Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.

Interessant ist auch die Tatsache, dass Jesus Gott nicht „wie“ einen Vater bezeichnet, sondern dass er Vater „ist“. Der Punkt ist, dass wir uns bewusst machen müssen, dass nicht Gott so wie wir Menschen ist, sondern dass wir ein „Bild“ von ihm sind. Er hat uns nach SEINEM Bild geschaffen und nicht wir ihn nach unserem. Einmal sagt Jesus ganz deutlich: „Nur einer ist euer Vater, der im Himmel!“

Mt 23,9: Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel.

Das bedeutet, dass wir das Ganze von Gott her, sozusagen aus seiner Perspektive, sehen müssen: Wenn ein Mann hier auf der Erde Vater ist, dann zeigt er etwas von Gottes Vaterschaft. Nicht umgekehrt. Wir sagen also nicht zu Gott deshalb Vater, weil Gott ein Mann wäre, sondern wir sagen zu einem Mann Vater, weil er etwas von der Vaterschaft Gottes zeigt. Das bedeutet aber auch, dass sich jeder Mann an Gott orientieren muss, wenn er Vater sein möchte. Wer sehnt sich nicht nach einem Vater, der sich bemüht, so zu lieben, wie Gott liebt?

Etwas von Gott zeigen

Wenn wir alles aus dieser Perspektive Gottes sehen, dass wir sein „Bild“ sind, dann hilft uns das einerseits zu verstehen wer Gott ist und auf der anderen Seite, wie wir leben sollten. Wir glauben als Christen, dass Gott dreifaltig ist: Vater, Sohn, Heiliger Geist. Und Gott ist die Liebe. Eben keine einsame Liebe, sondern „dreifaltige“ Liebe. Darum ist das erste Bild für Gott die Familie: Vater, Mutter, Kind. Im großen Glaubensbekenntnis erklären wir, dass „der Heilige Geist aus Vater und Sohn hervorgeht“.

„Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht.“ (Großes Glaubensbekenntnis)

Die Kirchenlehrer sagen, dass Gott Vater derjenige ist, der sich schenkt, Gott Sohn, der die Liebe empfängt und gleichzeitig sich zurückschenkt, und aus dieser gegenseitigen Liebe geht der Heilige Geist hervor. In diesem Bild ist sozusagen der Sohn der mütterliche Part – was etwas schwierig für unser Hirn zu verstehen ist, denn Gott ist als Gott reiner Geist – und das Kind ist ein Bild für den Heiligen Geist. Dieses dreiteilige Bild zeigt sich aber auch noch weiter in anderen Ebenen.

Eph 5,31-32: Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche.

In alten Ikonen wird der Heilige Geist manchmal mit weiblichen Zügen dargestellt, weil es der Heilige Geist ist, der sozusagen in uns „Frucht bringt“. Das heißt, Gott Vater bringt mit dem Heiligen Geist in uns geistliche Frucht, wie eine Mutter Frucht bringt. Und schließlich gibt es noch eine dritte Ebene, wo Jesus, also Gott Sohn, sich als der „Bräutigam“ der Kirche bezeichnet und mit seiner „Braut“, der Kirche, die Kinder Gottes hervorbringt. Vielleicht klingt das alles etwas verwirrend, aber immer geht’s um die Liebe von Zweien, die etwas Drittes hervorbringen. Glaube ist sozusagen „Familie“ und Gott ist unser Vater.

Was macht einen Vater zum Vater?

Was kann ein Mann, was eine Frau nicht kann? Was kann nur eine Frau, was einem Mann nicht möglich ist? Wir müssen aufpassen, wenn man das nur an so typischen Eigenschaften festmachen will. Sicher gibt es Eigenschaften, die im Großteil mehr auf Männer zutreffen und andere auf Frauen. So sind Männer im Allgemeinen der körperlich stärkere Part und dadurch z.B. gute Beschützer. Frauen haben hingegen größere soziale Fähigkeiten, die den Männern oft fehlen. Aber solche Eigenschaften treffen nicht immer zu und oft ist es auch umgekehrt. Das Einzige, wo sich Mann und Frau wirklich grundlegend unterscheiden, ist ihr Geschlecht, also die Teile und Funktionen des Körpers, die auf die Fruchtbarkeit ausgerichtet sind.

Gen 2,24: Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau und sie werden ein Fleisch.

Wenn man es mal ganz objektiv anschaut: Damit der Mann Vater wird, kostet ihm das vielleicht zwei Minuten. Eine Frau aber gibt mindestens zwei Jahre! Zuerst in der Zeit der Schwangerschaft und dann meist noch mindestens ein Jahr des Stillens. Das ist ein unglaublicher Unterschied. Und wie viele Ungerechtigkeiten und Verletzungen passieren, wenn der Mann nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und sich „an seine Frau zu binden“. Für eine Frau ist es allein schon von ihrer Natur her nicht so leicht, sich aus der Verantwortung für das neue Leben zu entziehen. Für einen Mann ist das viel äußerlicher. Darum fordert es vom Mann noch mehr diese Willensentscheidung, Ja zum Kind und zur Familie zu sagen.

Vaterbeziehung und Identität

Der Spruch stimmt: „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr!“ Von der Natur her gibt der Mann seinen Samen, den er rein theoretisch an viele Frauen jeden Tag geben könnte. Zum echten Vater, und nicht nur biologisch, wird er aber dann, wenn er zu seiner Verantwortung steht und Ja sagt zu seinem Kind. Darum hat das Ja des Vaters sehr viel mit Identität zu tun.

Hebr 1,5: Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt: Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt, und weiter: Ich will für ihn Vater sein und er wird für mich Sohn sein?

Untersuchungen in der Psychologie zeigen, wie wichtig für die eigene Identität dieses Ja des Vaters ist. Wie sehr sehnt sich doch jeder danach, von seinem Vater zu hören: „Du bist mein Mädchen, du bist mein Junge. Und es ist gut, dass du da bist!“ Die Verbindung zur Mutter hingegen ist ein bisschen anders. Mit ihr lebt man in der Schwangerschaft und als Baby in einer ganz engen Symbiose, fast wie ein Teil von ihr. Der Vater gibt Identität, weil er sozusagen von außen kommt und einen aus der mütterlichen Symbiose herausreißt und einem zuspricht, eine eigene Person zu sein: Es ist gut, dass du DU bist!

Ein bisschen Biologie

Hast du gewusst, dass du dein Geschlecht, also deine Identität als Bub oder Mädchen, biologisch gesehen von deinem Vater bekommen hast? Der menschliche Organismus besitzt zwei Arten von Geschlechts-Chromosomen: Das X-Chromosom und das Y-Chromosom. Dabei hat eine Frau zweimal das X- und ein Mann je ein X- und ein Y-Chromosom.

Im Gegensatz zur normalen Körperzelle besitzen Eizellen und Spermien nur den halben Chromosomen-Satz. Jede Eizelle der Frau enthält also ein X-Chromosom. Der Mann hingegen produziert zwei Arten von Spermien: Die eine Hälfte enthält ein X-Chromosom, die andere Hälfte ein Y-Chromosom. Deshalb wird das Geschlecht eines Menschen im Moment der Befruchtung bestimmt. Dringt ein Spermium mit einem X-Chromosom in die Eizelle ein, trägt der Embryo zwei X-Chromosomen und entwickelt sich zum weiblichen Organismus. Befruchtet dagegen ein Spermium mit einem Y-Chromosom die Eizelle, ist das Ergebnis XY und es entwickelt sich ein männlicher Organismus.

Vaterschaft Gottes

Der menschliche Vater spiegelt damit auch auf dieser biologischen Weise die Vaterschaft Gottes wider. Der menschliche Vater hat aber keinen bewussten Einfluss darauf, welche Spermienzelle auf die Eizelle trifft. Gott hingegen weiß seit Ewigkeit, wer wir sind.

Psalm 139,13;15: Du selbst hast mein Innerstes geschaffen, hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Dir waren meine Glieder nicht verborgen, als ich gemacht wurde im Verborgenen, gewirkt in den Tiefen der Erde.

Wir sagen zu Gott also Vater, weil er derjenige ist, der uns unsere Identität gibt, der zu uns sagt: „Heute habe ich dich gezeugt. Du bist mein Sohn, meine Tochter. Und es ist gut, dass du da bist.“

Wer ist die Mutter?

Wie wir bereits gesehen haben, ist die Familie – Vater, Mutter, Kind – das größte Bild, das wir von Gott haben, der dreifaltige Liebe ist. Wenn Jesus uns Gott nun als Vater vorstellt und wir die Kinder sind, dann muss es in diesem Bild auch eine Mutter geben, sonst wären wir ja in gewisser Weise so etwas wie Halbwaisen. Wer also ist die Mutter?

Ist es nicht interessant, dass viele Religionen von der Erde als Mutter sprechen? Auch wenn hier oft manches mit Esoterik vermischt ist, steckt da durchaus etwas Wahres dahinter. Für die Erde ist charakteristisch, dass sie etwas „hervorbringt“. Die Erde nimmt einen Samen auf und in ihr wächst eine neue Frucht. Als Christen glauben wir, dass wir eine Einheit von Leib und Seele sind, Materie und Geist. Gott gibt den Geist, aber die Materie kommt sozusagen von der Erde. So lesen wir das auch im Schöpfungsbericht der Bibel.

Gen 2,7: Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.

Ist dir schon einmal aufgefallen, wie sehr die ganze Welt von diesem Bild des Fruchtbringens geprägt ist? Jede Blume, die ihre Blüten öffnet, jeder Baum, jedes Lebewesen, alles spricht von diesem Fruchtbringen. Jesus greift das auch auf, wenn er das Gleichnis vom Sämann erzählt.

Mk 4,14;20: Der Sämann sät das Wort. Auf guten Boden ist das Wort bei denen gesät, die es hören und aufnehmen und Frucht bringen, dreißigfach, sechzigfach und hundertfach.

Gott ruft uns auf, „Frucht zu bringen“. In diesem Sinn haben wir als Menschen, egal ob Mann oder Frau, eine „mütterliche“ Aufgabe in übernatürlicher Weise. Das ist der Grund, warum die Kirche seit Anfang an als Mutter gesehen worden ist. So wie wir oben gesehen haben, spricht der Apostel Paulus von Christus als Bräutigam und der Kirche als Braut.

Mutter im Himmel

Die Kirche ist Mutter, und damit sind wir alle gemeint. Trotzdem bleibt das immer noch ein bisschen abstrakt. Aber wer die Bibel gut kennt, der weiß, dass es tatsächlich eine Mutter gibt, die die Kirche und alles das repräsentiert, von dem wir gesprochen haben. Es ist Maria, die Mutter Gottes. Jesus hat uns Gott als seinen und unseren Vater vorgestellt und Maria als seine und unsere Mutter.

Joh 19,26-27: Als Jesus die Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zur Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter!

Wer ist der Jünger, den Jesus liebt? Das sind wir alle. Darum verehren wir die Mutter Gottes als unsere Mutter im Himmel. Sie ist dieser menschliche Part, der die Menschen, die Erde, die Kirche repräsentiert. Sie ist Mutter nicht nur in geistiger Weise, sondern auch sehr real: Durch ihre Eizelle und Gottes Einwirken ist Gott Mensch geworden. In ihr ist dieses Wort des Sämanns auf den guten Boden gefallen und hat milliardenfach Frucht gebracht.

Auf dem Weg zum Vater

Hast du gewusst, dass es im Christentum letztlich nicht um Jesus geht? Okay, diese Aussage könnte man jetzt falsch verstehen. Natürlich geht’s um Jesus. Aber das Ziel, auf das wir zugehen, ist der Vater. Unser Schöpfer. Unser Papa. Jesus ist vor 2000 Jahren auf diese Welt gekommen, um uns den Weg zum Vater zu zeigen.

Joh 14,6: Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.

Jesus ist der Weg. Unser Ziel ist aber der Vater. Vielleicht ist das etwas, was uns gar nicht so oft bewusst ist. „Zeig uns den Vater, das genügt uns“, das wurde Jesus mal von Philippus gefragt. Aber darauf erklärt Jesus noch etwas ganz Wichtiges: Er ist vom Vater nicht zu trennen.

Joh 14,9-10: Jesus sagte zu ihm: Schon so lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater? Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist?

Also, irgendwie geht’s doch um Jesus. Aber es ist kompliziert. Nicht so einfach, die Dreifaltigkeit zu verstehen. Und trotzdem ist es nicht schwer, zu Gott zu gehen: Wir sollen einfach Papa sagen! Das ist unser christlicher Glaube. Gott ist nicht jemand, vor dem wir Angst haben müssen. Er ist unser Papa.

Röm 8,15: Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, sodass ihr immer noch Furcht haben müsstet, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!
„»Abba« zu sagen ist etwas sehr viel Vertrauteres, Bewegenderes als Gott einfach »Vater« zu nennen. Wir sagen auch weiterhin »Vater unser«, aber im Herzen sind wir eingeladen, »Papa« zu sagen, ein Verhältnis zu Gott zu haben wie das eines Kindes, das »Papa« sagt zu seinem Vater.“
– Papst Franziskus