Warum wir dazu neigen, uns selbst zu zensieren.
Interview Michi Cech

Anja Hoffmann kommt aus Wien und ist seit kurzem Leiterin der Organisation „Observatory on Intolerance and Discrimination against Christians in Europe“, kurz „OIDAC“. Im Interview haben wir mit ihr über das Phänomen der Selbstzensur gesprochen und wie wir da rauskommen können.
Anja, du bist junge Leiterin von OIDAC Europe. Wie bist du persönlich dazu gekommen, dass du dich für dieses Thema interessiert hast?
Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen und habe mich schon früh für die Auseinandersetzung mit dem Glauben in einem nicht-gläubigen Umfeld interessiert. Schon in der Schule, als wir das Thema Menschenrechte behandelt haben, wusste ich, dass ich das studieren wollte. Ich hatte das Gefühl, dass Menschenrechte eine Sprache sind, die auch die säkulare Gesellschaft versteht, indem sie die Würde jedes Menschen anerkennt. Das habe ich dann auch studiert. Ich habe fünf Jahre im Parlament gearbeitet, hauptsächlich im Menschenrechtsbereich, und dann ein Jahr Theologie und Philosophie studiert, was nun eine super Grundlage für mich ist. Seit einigen Monaten, arbeite ich für das Observatory.
In der Schule oder im Studium, hattest du da selbst manchmal das Gefühl, als Christin diskriminiert zu werden?
Diskriminierung ist ja ein großes Wort. Eigentlich bedeutet es Unterscheidung und in manchem Sinn ist Diskriminierung ja durchaus angemessen, wie bei einer Jobausschreibung mit bestimmten Kriterien. Aber oft wird das Wort inflationär verwendet, um jede unterschiedliche Behandlung zu kritisieren. Nicht jede unterschiedliche Behandlung ist ungerecht. Jetzt zu deiner Frage, in der Schule habe ich das schon erlebt, wo sich Lehrer ziemlich über Christen lustig gemacht haben. Das war besonders schwierig, weil man als junger Mensch oft nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Er ist halt der Lehrer und alle lachen. Dann fühlt man sich ziemlich ohnmächtig.
Das ist ja der wichtige Punkt in der Diskussion um Diskriminierung. Wir sind da, denke ich, heute sensibler geworden, was solche Situationen betrifft.
Ja, das stimmt. Aber mir kommt manchmal vor, man ist bei allen Gruppen sensibel, nur nicht bei Christen. Oft kommt die Diskriminierung von Christen gerade von Menschen, die sich ansonsten sehr für Toleranz einsetzen. Da geht es manchmal über das Ziel hinaus. Im Namen der Toleranz wird nicht nur gefordert, dass man den anderen mit seiner Meinung respektiert, sondern du musst auch zustimmen. Wenn du nicht gutheißt, was diese Person tut, wirst du als intolerant gesehen. Als Christ bist du dann in einer schwierigen Lage, wenn du die Lehre der Kirche zu gewissen Themen vertreten möchtest. Du wirst als intolerant abgestempelt und sofort in ein Eck gestellt. Die Folge ist, dass du dann wiederum für deine Meinung diskriminiert wirst, was aber niemand als Diskriminierung empfindet, weil du ja sozusagen auf der „bösen“ Seit bist.
Hmm. Wer sagt dann, was berechtigte Diskriminierung ist und was nicht?
Es wäre hilfreich, wenn wir uns auf eine echte Definition einigen könnten, was Diskriminierung tatsächlich bedeutet oder wann sie bekämpft werden sollte und mit welchen Mitteln. Zum Beispiel, wenn ich zwei Schüler habe, die sich für einen Wettbewerb anmelden, dann sollten ideologische, religiöse und sonstige Fragen keine Rolle spielen, sondern nur objektive Kriterien. Es darf auch nicht zu einer sogenannten positiven Diskriminierung kommen, indem man eine Gruppe bevorzugt, die vermeintlich benachteiligt ist. Ich glaube, dass dies viele Probleme verursacht und eher Spannungen schürt.
Was würdest du sagen, welche Bereiche sind es, wo Christen ungerecht diskriminiert werden?
Wir sehen viele verschiedene Arten von Diskriminierung gegen Christen. Das kann im Job passieren, bei politischen Ämtern oder sogar vor Gericht, nur weil jemand seine Glaubensüberzeugungen äußert. Außerdem gibt es Hassverbrechen gegen Christen, wie körperliche Angriffe oder Vandalismus an Kirchengebäuden und kirchlichen Einrichtungen. Die Gründe dafür sind ziemlich unterschiedlich und oft ist es schwer, die Täter genau zu identifizieren. Wenn wir es herausfinden, sind es meistens radikale linke Gruppen oder Menschen mit islamistischen Hintergründen. Was die Diskriminierung am Arbeitsplatz oder an der Uni angeht, geht es oft um gesellschaftspolitische Themen wie Geschlecht und Familie. Da dreht es sich grundsätzlich um die Frage, wer ist der Mensch.
Erzähl uns doch über eure Doku „Self-Censored“, die ihr gerade herausgebracht habt.
Ja, wir haben eine Dokumentation über Selbstzensur unter christlichen Studenten gemacht. Die Fälle, wo man jetzt echte Schwierigkeiten bekommt oder verklagt wird, wenn man sich zum Glauben bekennt, sind zum Glück nur Einzelfälle. Aber sie führen trotzdem zu dem Effekt, dass sich jemand oft nicht mehr sagen traut, dass er gläubig ist. Wir nennen das Chilling Effect, also den Abschreckungseffekt auf die weitere Bevölkerung. Es ist in England erst eine Studie herausgekommen, wo unter jungen Christen zwei Drittel sagen, sie reden öffentlich lieber nicht über ihren Glauben.
Welche Leute habt ihr für die Doku befragt?
Wir haben neun Studenten aus verschiedenen Ländern Europas nach Wien eingeladen, um über ihre Erfahrungen zu sprechen. Viele sagten, dass sie an der Uni anfangs nicht erwähnt haben, dass sie gläubig sind. Sie wollten erst Freundschaften schließen, um Anschluss zu finden. Die Atmosphäre ist also eher zurückhaltend gegenüber Glauben, aber es gab auch krassere Fälle. Zwei Studentinnen hatten sogar Morddrohungen bekommen, weil sie sich in der Pro-Life-Bewegung engagieren. Man merkt, dass bestimmte Themen besonders heftig angefeindet werden. Ein christlicher Glaube, der keine großen Ansprüche stellt und einfach nur nett ist, wird akzeptiert. Aber sobald es um ernstere Fragen wie den Wert des menschlichen Lebens geht, wird es schwierig. Interessant habe ich die Erfahrung eines Studenten gefunden, der ursprünglich aus Nigeria stammt. Man könnte denken, dass er krasse Geschichten über Christenverfolgung kennt. Trotzdem sagt er, dass er zu Hause jeden Tag Bibelverse auf Social Media geteilt hat, aber damit aufgehört hat, als er nach Europa kam. Er fühlte, dass es hier ein ungeschriebenes Gesetz gibt: Wenn du gläubig bist, sollte das eine reine Privatsache bleiben. Unsere Gesellschaft hat zwar nicht das Level an Verfolgung, das in anderen Ländern existiert, aber es gibt dennoch eine feindselige Atmosphäre gegenüber offen gelebtem Glauben.
Und das ist es ja, was du mit deiner Arbeit ein Stück weit verändern möchtest.
Genau. Auch die Doku soll das Problem sichtbar machen und die Leute sensibilisieren. Es geht darum, das Phänomen verständlich zu machen und zu zeigen, dass es Wege gibt, die Schweigespirale zu durchbrechen. Das Ziel ist zu ermutigen, auf gute und konstruktive Weise den Dialog zu suchen und offen über den Glauben zu sprechen, ohne dass man sofort in eine Konfrontation geraten muss.
Ich glaube, es betrifft ja nicht nur die Religion, wo man seine Meinung nicht mehr sagen traut. Ist das heute nicht auch bei politischen Themen so, wie vielleicht z.B. auch beim Klimaschutz?
Ja, einige aktuelle Umfragen belegen das. Und auch, dass Selbstzensur zu politischen Themen in der breiten Bevölkerung extrem verbreitet ist: Wenn in einer Demokratie wie bei uns die Hälfte der Bevölkerung sich nicht mehr traut zu sagen, was sie denkt, dann finde ich das schon bedenklich. Das ist keine Richtung, wo ich mich gern hinbewegen möchte.
Ich glaube, es ist die Angst, nicht zur Gruppe zu gehören. Oder?
Ich glaube, das beschreibt es gut, also dieses Gefühl, wenn ich das sage, was nicht der politisch korrekten Meinung entspricht, dann gehöre ich nicht dazu. Ich denke mir, uns würde als Gesellschaft einmal so ein richtig bunter Diskurs, eine echte Pluralität voll gut tun. Wenn man im Fernsehen einmal eine echte Diskussion von verschiedenen Meinungen zulassen würde.
Wie können wir nun dieses Mindset der Selbstzensur etwas verlassen?
Zuerst ist es wichtig, dass wir das Thema Selbstzensur sichtbar machen. Es ist nicht nur ein von außen auferlegtes Phänomen, sondern es hat auch mit einem selbst zu tun. Wir halten unsere Meinung oder unseren Glauben zurück – oft aus Angst vor Konsequenzen. Diese Konsequenzen sind teilweise real, aber eigentlich leben wir doch in einer Gesellschaft, die uns die Freiheit gibt, unsere Gedanken zu äußern. Ich glaube, wir brauchen eine Festigkeit im eigenen Glauben. Wenn du deine Argumente gut kennst, bist du selbstbewusster und kannst freier darüber sprechen. Und dann glaube ich, dass persönliche Gespräche mit denjenigen, von denen Unmut oder Feindseligkeit ausgehen, viel bewirken können. Es erfordert Mut, sich solchen Gesprächen zu stellen. Aber als ich damals in der Schule das Gespräch mit Lehrern suchte, die meinen Glauben lächerlich gemacht hatten, war ich überrascht, dass sie bereit waren, nachzudenken und sich auf neue Perspektiven einzulassen.
Das heißt, man soll sich auch mal trauen, etwas zu sagen?
Es gibt die Theorie der Schweigespirale, die besagt, dass Menschen oft nicht reagieren, wenn etwas passiert, weil sie annehmen, dass es einen guten Grund dafür gibt, warum andere nicht eingreifen. Dieses Phänomen führt dazu, dass niemand etwas sagt oder tut, selbst wenn alle denken, dass das Schweigen falsch ist. Die Macht der Masse hält sie zurück. Umfragen zeigen, dass 50 Prozent der Menschen sich nicht trauen, in der Öffentlichkeit ihre Meinung zu äußern. Diese 50 Prozent gibt es auch an Universitäten und in der Schule. Wenn man sich traut, respektvoll und konstruktiv seine Meinung zu einem Thema zu äußern, kann man die Schweigespirale durchbrechen. Dadurch ermutigt man möglicherweise andere, ebenfalls ihre Meinung zu sagen und offen über ihre Ansichten zu sprechen.
Und vielleicht, wenn ein anderer einmal etwas sagt, dass ich ihn dann unterstütze. So könnten wir uns gegenseitig bestärken.
Ja, absolut! Je mehr Menschen sich trauen, offen und direkt zu sprechen, desto besser für die Dynamik der gesamten Gruppe. Diese persönliche Bestärkung ist entscheidend, um wieder zu einer echten Dialogkultur zurückzufinden. Meine Sehnsucht ist es, dass Menschen offen und wahrhaftig sprechen. Heutzutage reden wir viel über Authentizität. Trotzdem gibt es oft eine Diskrepanz zwischen dem, was Menschen innerlich denken und glauben, und dem, wie sie sich öffentlich geben.
Wir tun uns auch schon manchmal schwer, in unserer eigenen Gruppe unsere Meinung zu sagen. Vielleicht wäre das aber ein wichtiges Übungsfeld.
Ja, und auch der Gruppe zuzumuten, dass sie eine Meinungsverschiedenheit aushalten kann. Ich glaube, das ist eine Sache, die wir jetzt in der jungen Generation beobachten, dass Meinungsverschiedenheiten, Konflikte als etwas total Schlimmes gesehen werden und als etwas, was man auf jeden Fall vermeiden muss. Davon sollten wir wegkommen. Und es ist auch so, wenn Leute merken, dass du eine klare Meinung hast, also dich mit Dingen beschäftigt hast und für dich überzeugende Argumente hast, dann bringt das echt Respekt ein.
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