„Es kann auch gut sein, wenn du die Kontrolle über dein Leben verlierst.“
Michael Patrick Kelly

Zum zweiten Mal war er bereits Gastgeber der VOX Sendung „Sing meinen Song“ und mit 120 erfolgreichen Shows seiner letzten Tour „iD“ zählt er momentan zu den ganz Großen der deutschen Musikszene. Wir haben Michael Patrick Kelly über Skype getroffen und mit ihm über „Sing meinen Song“, seine neue Single und sein „Lockdown Konzert“ im Kölner Dom geplaudert.

Interview: Michi Cech

YOU!: Du warst wahrscheinlich der erste Popmusiker, der den Kölner Dom für sich allein hatte. Was war die Idee dahinter?

Michael Patrick Kelly: Der Kölner Domprobst hat mich angerufen und gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, in der Karwoche ein Konzert aus dem Kölner Dom zu geben. Ganz alleine eingeschlossen, ohne Band und ohne Publikum. Das ist ja ein Ort, wo normalerweise 30.000 Leute pro Tag ein und aus gehen. In dieser Hochphase der Coronakrise waren es vielleicht 40. Er hat gesagt, wenn in dieser Zeit die Leute nicht in die Kirche können, dann muss die Kirche zu den Leuten. Ich fand die Idee eines „Lockdown Konzerts“ total spannend. Der Dom ist 700 Jahre alt, Weltkulturerbe, und ich hab ja früher im Kölner Raum gelebt. Wir wollten mit Musik und Impulsen ein bisschen Hoffnung in diese heftige Zeit bringen. Für mich als Künstler war es eine unglaubliche Erfahrung – ganz allein in dieser Kathedrale. Wirklich eines meiner Highlights.

YOU!: Hast du den Eindruck, dass sich die Menschen in dieser Krise wieder mehr die wesentlichen Fragen stellen?

Michael Patrick Kelly: In einer globalen Krise glaube ich schon, dass sich viele über unseren „way of life“ Fragen stellen. Grenzenlose Egoismen, die Gier nach Geld und Macht scheinen das zu sein, was für die größte Ungerechtigkeit in der Welt sorgt. Und bisher war das nur so an Weihnachten, wo man ein paar Tage im Jahr versucht hat, sich auf den Wert von Familie, Freundschaft, Liebe zu besinnen, und jetzt wurden wir in dieser Quarantäne mehrere Monate am Stück dazu gezwungen, uns damit zu befassen. Das ist für viele vielleicht anstrengend, aber ich glaube, es ist auf jeden Fall so ein „wake up call“, ob unser „way of life“ so richtig ist. Dieses Höher, Schneller, Weiter – ich wollte diese Fragen in das Domkonzert mit hineinbringen.

YOU!: Du hast hier auch Fragen an Gott gestellt. Was würdest du Gott gerne fragen?

Michael Patrick Kelly: Definitiv das, was ich in diesem Konzert frage und man nachhören kann. Aber vielleicht auch: Was kann ich tun? Was kann ich tun, um meine Zeit hier auf Erden anderen nutzvoll zu schenken? Jeder von uns ist mit irgendwelchen Fähigkeiten ausgestattet, Talente oder Gaben. Manche haben einen Körper wie ein Schwimmer. Manche einen schlauen Kopf und sind Erfinder. Manche können gut kochen. Und ich kann singen und Songs schreiben. Ich möchte mit den Fähigkeiten, die mir gegeben wurden und an denen ich auch gearbeitet habe, nutzvoll sein für andere.

YOU!: Gehen wir zu „Sing meinen Song“. Du bist nun schon zum dritten Mal dabei. Es gibt wenige Formate, wo Künstler so persönlich über ihr Leben sprechen. Auch hier ist es oft um große Lebensfragen gegangen. Gehen diese Gespräche hinter den Kulissen weiter?

Michael Patrick Kelly: An so einem Abend kommt so viel auf den Tisch, dass diese Themen nachher definitiv fortgeführt wurden. Teilweise haben wir bis tief in die Nacht gequatscht oder uns noch im Bett Whats Apps geschrieben. Das Schöne an „Sing meinen Song“ ist, dass sieben „fremde“ Künstler zusammen ans andere Ende der Welt fliegen, und nach ein paar Wochen fliegen sie als Freunde zurück. Das ist wirklich verrückt. Das hab ich so noch nie erlebt. Und ich habe mich gefragt, wie es kommt, dass man so schnell so nah werden kann. Ich glaube, der Grund ist, weil die Songs von Themen handeln, die sehr privat, sehr persönlich sind. Dadurch dass etwa Nico Santos einen Song über seinen verstorbenen Kumpel geschrieben hat, er darüber spricht und den Song dann in ganz anderer Form zurückgeschenkt bekommt, das macht etwas Unbeschreibliches mit uns allen, die wir da sitzen. Wenn man zusammen weinen kann, dann schweißt das zusammen. Es gibt keinen Moderator, kein Publikum, die Kameraleute sind getarnt hinter irgendwelchen Pflanzen und man vergisst, dass es eine TV-Show ist.

YOU!: Ein besonders starker Moment war ja, als du den Song von MoTrip über seine Abtreibung gesungen hast. War das auch nach der Sendung noch ein Thema?

Michael Patrick Kelly: Auf jeden Fall. Es gab sowohl zwischen mir und Mo noch die halbe Nacht sehr tiefe Gespräche, aber auch die anderen haben sich über dieses Thema ausgetauscht. Es gibt ja auch Menschen, die Kinder durch Fehlgeburten verloren haben und sich durch diesen Song angesprochen gefühlt haben. Oder Freunde haben, die eine Abtreibung hinter sich haben. MoTrip hat gesagt, dass er auf diesen Song mehr Feedback bekommt als auf alle seine größten Hits. Weil es einfach sehr, sehr viele Menschen betrifft. Und niemand spricht darüber. Das Schöne an der Musik ist, dass sie als Kunst immer ein Spiegel der Gesellschaft ist. In diesem Song Embryo wurde von MoTrip ein Tabu-Thema in so tiefergreifend ehrliche Worte gepackt, dass ich beim ersten Hören des Originalsongs schon komplett erstarrt war – so stark. Mo hat diesen Song veröffentlicht, hat auch auf seinem Albumcover ein Bild von einem ungeborenen Baby, und dieses ganz sensible Stück war dann auf der Liste der Songs, aus denen wir für die Sendung wählen konnten. Das war intensiv und hat uns sehr eng zusammengeschweißt. Als wir nach Deutschland zurückkamen, haben wir auch beschlossen, einen gemeinsamen Song zu veröffentlichen.

YOU!:  MoTrip war auch Teil des Lockdown-Konzerts im Kölner Dom…

Michael Patrick Kelly: Ja, genau. Das Interessante, er kommt eigentlich aus einem muslimischen Background. Er war der erste Rapper auf dem Dach vom Kölner Dom (lacht). Wir waren begeistert.

YOU!: Nachdem wir uns jetzt viel über tiefe Fragen unterhalten haben – deine neue Single „Beautiful Madness“ geht ja ein bisschen in eine andere Richtung. Da geht’s um die Schönheit in der Verrücktheit. Was meinst du damit? 

Michael Patrick Kelly: Viele meiner Songs haben ja nachdenkliche Themen, wie bei „iD“, wo es um die Frage der Identität geht. Ich wollte in dieser Zeit nach monatelanger Anspannung und Isolation aber einfach einen Song rausbringen, der gute Laune macht. Drei Minuten Sonne für die Ohren. In einer Zeit, wo wir nicht in die Karibik fliegen, muss die Karibik eben zu uns. Musik, Tanzen und Humor helfen in Krisenzeiten. „Beautiful Madness“ ermutigt zur Gelassenheit, auch im Chaos.

YOU!: Wenn man das Verrückte im Leben positiv sehen kann, spricht das eigentlich von einem großen Vertrauen, dass alles gut wird. Nimmst du dieses Vertrauen aus deinem Glauben?

Michael Patrick Kelly: Definitiv. Ich nenne Gott den unsichtbaren Regisseur meines Lebens. Ich habe es oft erlebt, dass Erfahrungen im Nachhinein einen Sinn hatten. Sei es auch nur, dass ich daraus gewachsen bin. Dass aus mir Entscheidungen kommen mussten, die mich aus meiner Comfort Zone herausgefordert haben. „Beautiful Madness“ ist ein Song darüber, dass es auch gut sein kann, wenn Dinge auf den Kopf gestellt werden und du die Kontrolle über dein Leben verlierst. Weil man herausgefordert wird. Und dann als Mensch auch wachsen kann.

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