Hast du dich jemals fremd gefühlt? Oder bist du dir in deinem Umfeld schon mal wie ein Alien vorgekommen? Bei mir jedenfalls ist es so: Seit einigen Monaten darf ich meinen Zivildienst in Ostjerusalem leisten – also im arabischen Teil der Stadt. Ich möchte mit euch meine Erfahrungen teilen, wie ich diese fremde Kultur und die uns nicht allzu fremde Religion, den Islam, erlebe.
Text Johannes Pichler
Im Orient gibt es so ziemlich nichts, was es nicht gibt – außer Ruhe. No Joke. Alle Sinne werden beansprucht: Hitze und blendendes Licht, grelle Farben, Gestank und dann der Duft aus Gewürzgeschäften. Aus einem Lautsprecher kann man den säuselnden Gesang von Koransuren hören. Menschenmassen, die sich durch die schmalen Gassen an hupenden Motorrädernd und Golfwägen (ja, Golfwägen!) vorbeiwälzen. Kleine Läden säumen den Straßenrand: „Welcome, where are you from?“ Die Händler wissen schon, wie man Touristen in ein Gespräch verwickelt, um ihnen dann schwer überteuerte Souvenirs anzudrehen. Aber einfach grüßen und weitergehen.
Muezzins und Feuerwerke
Dann der Gebetsruf des Muezzins, der den ganzen Lärm nochmals übertönt: „Alluah Akbar!“ Ein Ruf, der in Europa hauptsächlich mit Terroranschlägen in Verbindung gebracht wird, hier aber fünf Mal täglich zu hören ist – auch in der Nacht. Apropos: Nachtruhe gibt es hier sowieso nicht. Irgendwelche lautstarken Diskussionen auf der Straße, Schreie aus dem Nichts, das Gezänk der Katzen und ab und zu ein lauter Knall. Zum Glück nur Feuerwerke und keine Attentate – die hier leider auch noch immer vorkommen können.
Überfordert
Dieser ganze Trubel, von dem ich fast dauernd umgeben bin, lässt mich natürlich nicht kalt. Und überfordert mich auch. Die Unruhe ist einfach ansteckend. Und es ist auch wirklich immer etwas los – manchmal passiert hier an einem Tag mehr als in einer Woche zu Hause. Nicht selten denke ich mir: „Was für wahnsinnige, aber auch grenzgeniale 24 Stunden habe ich gerade hinter mir?“ Besonders, wenn wir gerade keinen Arbeitsdienst haben, wird jede Sekunde gefüllt: Da kommt es schon mal vor, dass meine Freunde und ich an einem Tag fünf verschiedene Städte ansehen.
Horizonte zurücklassen
Ich denke, dass es keine internationalere und kontrastreichere Stadt gibt als Jerusalem. Einerseits ist diese Diversität „too much to handle“, aber andererseits unglaublich bereichernd und horizonterweiternd. Die Begegnung mit so vielen fremden Kulturen, aber vor allem mit den Menschen, ist weit mehr als nur interessant und lehrreich. Am meisten geprägt wird der Alltag hier von den Juden und den Arabern, mit ihren total unterschiedlichen Veranlagungen. Wenn man etwa vom inbrünstigen Gebet an der Klagemauer nur einige Minuten zu einem verwinkelten Bazar geht, fühlt man sich wie in einer komplett anderen Welt.
Wie ein Alien
In Europa kennt jeder Muslime – als Mitschüler, Nachbarn oder vielleicht als den Dönerverkäufer des Vertrauens. Für mich war es ganz normal, dass zum Beispiel Geflüchtete nun als Fremde in unser Land kommen und unter uns leben. Nun aber selbst als Fremder in einem arabischen Land zu wohnen, ist für mich ungewohnt und seltsam. Auf einmal bin ich derjenige, der allein durch die Kleidung auffällt. Wenn ich spazieren gehe, werde ich mehrmals gefragt, ob ich mein Hotel suche. Hinter diesen Fragen steckt aber weniger Skepsis als ehrliche Freundlichkeit. Die Offenheit und Unkompliziertheit werde ich sicher vermissen. Nicht zu vergessen die Gastfreundschaft, die hier ein hoher Wert ist: Wenn man von Arabern zum Essen eingeladen wird, ist es Sitte, mehr Essen serviert zu bekommen, als man beim besten Willen hinunterbekommen kann.
Positive Eindrücke
Wenn ich gläubige Muslime jetzt so hautnah erlebe, beeindruckt es mich wirklich, was für eine zentrale Rolle ihre große Ehrfurcht vor Gott spielt. Es imponiert mich, wie es Muslime ernstnehmen, dass es jemanden gibt, der es wert ist, ihm den Tagesablauf, den Jahresrhythmus und auch das eigene Leben zu unterwerfen. Islam heißt auch schließlich Unterwerfung. Kaum ein Muslim schämt sich für seine Überzeugungen, sondern ist vielmehr stolz darauf. So kommt es schon vor, dass einer meiner Mitarbeiter oder ein Ladenverkäufer auf einem Teppich seine Gebete verrichtet. Ums Eck gibt es eine Art Missionsstand, wo den meisten von uns Zivildienern ein Koran in die Hand gedrückt wurde. Gespräche oder Diskussionen folgen dann ziemlich bald darauf. Da stellt sich schon schnell die Frage, wie bereit wir sind, offen vor anderen, z.B. unseren Klassenkollegen, zu beten oder ganz selbstverständlich von unserem Glauben zu reden.
„Wir brauchen euren Jesus nicht!“
Und doch sehe ich auch Unterschiede. Zum Beispiel, wie man auch viel intoleranter mit anderen Meinungen umgeht. Da spürt man schon schnell Aggression in der Luft. Als Christen, die wir seit klein auf gesagt bekommen, wir sollen sogar unsere Feinde lieben, ist das ungewohnt. Zum Beispiel folgendes Erlebnis. Mein Freund Luke, den ich in einem Gebetshaus kennen gelernt habe, schnappt sich ab und zu die Gitarre – um auf öffentlichen Plätzen christliche Lobpreislieder zu singen. Einmal stellte ich mich zu ihm. Da kam ein Mann auf uns zu und rief: „Hört auf! Seid still! Ich habe Angst um den Glauben meiner Kinder, die neben euch spielen.“ Und er fügte hinzu: „Wir haben Mohammed und brauchen euren Jesus nicht.“ Luke wollte mit ihm reden, kam aber nicht weit. Plötzlich stand ein ganzer Mob um uns herum. Ich habe noch nie so eine Dynamik erlebt, es ging alles so wahnsinnig schnell. Ein Jugendlicher meines Alters begann, Luke herumzuschubsen. Wir machten uns schleunigst aus dem Staub.
„Seeking Allah, Finding Jesus“
Die Geschichte hat mich doch ziemlich nachdenklich gemacht. Das Krasse am Christentum ist, dass wir einen Gott kennen gelernt haben, der die Menschen nur durch Liebe für sich gewinnen will. Lieber lässt er sich umbringen, als irgendwie Gewalt anzuwenden. Lieben geht eben nur in Freiheit. Ein Buch, das mir beim Verstehen sehr weitergeholfen hat, war „Seeking Allah, Finding Jesus“ von Nabeel Qureshi. Du findest seine Geschichte auch leicht auf YouTube. Er war ein Muslim aus einer strenggläubigen Familie, der Jesus kennen gelernt hat. Als Redner und Autor gab Einblicke in das Leben als Muslim und warum er Christ wurde. 2016 starb er an Krebs mit 34 Jahren. Noch auf seinem Sterbebett sagte er, dass es vor allem um die Haltung der Liebe dem anderen gegenüber geht. Das ist ein Gedanke, der für mich Sinn macht, wenn ich all das Fremde und Unbekannte erlebe. Kann ich in dem anderen einen Menschen sehen, den Gott liebt? Hier in Ostjerusalem, genauso wie zuhause bei uns.
Was uns unterscheidet
Christentum
Gott ist unser Vater.
Dreifaltigkeit: Ein Gott in drei Personen.
Jesus ist Gott.
Nächsten- und Feindesliebe im Zentrum der Botschaft.
Bibel ist das Wort Gottes in den Worten von Menschen. Deshalb als großes Ganzes wahr, aber nicht immer wortwörtlich.
Zentrum des Glaubens ist Jesus Christus als Person.
Was uns unterscheidet
Islam
Gott ist vor allem allmächtig und erhaben.
Allah ist nur einer allein. Dreifaltigkeit gilt als Glaube an mehrere Götter.
Jesus war ein großer Prophet, aber nur Mensch.
Das Wort „Nächstenliebe“ kommt nur ein einziges Mal vor.
Koran ist 100% wahr und unverfälscht, direkt von Gott diktiert.
Zentrum des Glaubens ist der Koran.
Was uns verbindet
- Gott ist der Ursprung von allem, was existiert. Wir sind nicht aus Zufall hier.
- Gott hat eine Ordnung in die Welt gelegt, die wir erkennen und befolgen sollen, um unser Ziel im Leben zu erreichen.
- Gott allein verdient es, angebetet zu werden.
- Viele gleiche Figuren und ähnliche Geschichten in Bibel und Koran, wie Abraham, Mose oder auch Maria.
- Manche gemeinsame Werte, wie z.B. die Wichtigkeit der Familie.
- Es gibt in beiden Religionen Gebetszeiten und Fasten.
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