Warum soziale Medien so eine Anziehungskraft auf uns haben.

Text Debbie Werner

Jeder spürt es. Das Handy hat eine magische Anziehungskraft auf uns. Wer kennt nicht die Situation, in der man einfach schnell etwas nachschauen will, und auf einmal merkt, dass man schon viel zu lange vor Instagram, YouTube oder TikTok hängt.

Ist es reiner Zufall, dass uns die digitale Welt so fesselt oder steckt noch mehr dahinter? Die YOU! Redaktion möchte sich dieses Jahr tiefer mit diesen Fragen über Social Media und Digital Detox beschäftigen und herausfinden, wie man mehr in der echten, als in der digitalen Welt leben kann.

„The Social Dilemma“

Im September 2020 veröffentlichte Netflix die Dokumentation „The Social Dilemma“. Die Doku schlug wie eine Bombe ein, die Zuschauer waren bestürzt und viele wollten ihre Social Media Accounts danach löschen. Warum fiel die Reaktion so dramatisch aus?  Weil die Dokumentation die Zuschauer hinter die Kulissen der großen Internetkonzerne blicken ließ. Sogenannte „Whistleblower“, also Aufdecker, die früher für die großen Techunternehmen (Google, Instagram, Facebook, etc.) gearbeitet haben, berichten sehr ausführlich, wie jene Unternehmen in erster Linie darauf angelegt sind, ihre User ohne deren Wissen auszunutzen. Der Gewinn, der dadurch erwirtschaftet wird, macht die Internetkonzerne zu den reichsten Unternehmen der Menschheitsgeschichte.

Sie machen Geld aus unserer Sucht

Die Techexperten in „The Social Dilemma“ sprechen darüber, wie das Design von Social Media absichtlich so angelegt wurde, dass es die User süchtig macht. Ganze Teams von Psychologen und Techexperten arbeiten daran, höchst manipulative Tricks, die auch „Überzeugende Technologie“ genannt werden, zu entwickeln, um uns User möglichst lange online zu halten. Und es funktioniert sehr gut. Die neuesten Studien vermuten, dass mehr als 210 Millionen Menschen an Internetsucht leiden. Psychiaterin Dr. Anne Lembke etwa erklärt, dass wir so gefährdet in Bezug auf Social Media sind, weil wir biologisch darauf ausgerichtet sind, miteinander zu kommunizieren und uns zu verbinden. Dieses Verhalten ist direkt mit der Dopaminausschüttung in unserem Gehirn verbunden. „Deshalb gibt es keinen Zweifel daran, dass ein System wie Social Media, das das Gefühl der Verbundenheit scheinbar optimiert, zur Ausbeute der ahnungslosen User missbraucht werden kann“, sagt die Psychiaterin. Und natürlich wollen die Konzerne genau das. Warum? Es geht ums Geld. Je länger wir auf unsere Bildschirme starren, desto mehr Geld bringen wir ihnen ein.

Wir sind das Produkt

In „The Social Dilemma“ wird genau erklärt, dass der Megaumsatz der Internetkonzerne hauptsächlich durch das Businessmodell von Werbeanzeigen erzielt wird. Es geht also darum, dass die User, möglichst viele Werbungen zu Gesicht bekommen. Ein Unternehmen kann zum Beispiel zu Instagram sagen: „Gib mir 1 Millionen User zwischen 14 und 18, die diese Werbung sehen und wir zahlen dafür.“ Instagram „verkauft“ also seine User an andere Unternehmen, um deren Werbung zu sehen. Das Problem dabei ist, so die Experten in der Doku, dass dieses Konzept vielen Usern, besonders den jüngeren, überhaupt nicht bewusst ist. Sie wissen nicht, dass Instagram, Facebook und TikTok mit allen Mitteln um ihre Aufmerksamkeit ringen. Viele denken Social Media sei einfach nur ein „Tool“, also ein Werkzeug, das wir verwenden. Doch die Konzerne haben ihre eigenen Ziele und setzen unsere Psychologie gegen uns ein, um unsere Präsenz im Internet zu erhöhen. Und damit das noch besser funktioniert, verwenden sie unsere Daten.

Deine Daten sind Gold wert

Letztlich spielen in diesem Ringen um Aufmerksamkeit unsere Daten die entscheidende Rolle. Je mehr Daten die Internetkonzerne über uns sammeln, desto besser können sie uns mit Werbungen manipulieren, die perfekt auf uns zugeschnitten sind. Die „Whistleblower“ erklären, wie jedes Like, jede Suche in Google, jedes Video und Bild, das wir uns ansehen und unser Standort gespeichert werden, um jedem Käufer direkten Zugang zu unseren Interessen zu geben. Experten sind sich ganz einig: Dieses Konzept ist kein faires Verhältnis zwischen Usern und Anbietern, weil viel zu wenig Bewusstsein über die Datenspeicherung und die daraus folgende Manipulationen besteht. Es ist natürlich ein gutes Recht für Unternehmen, auf Gewinn fokussiert zu sein. Aber der Zweck heiligt nicht die Mittel. Wenn man absichtlich Sucht erzeugen möchte und schädliche Folgen für den User in Kauf nimmt, dann ist das nicht fair. Aus diesem Grund wurde Google erst im Oktober 2020 vom amerikanischen Justizministerium verklagt.

Mentale Schäden sind die Folge

Der Psychologe Jonathan Haidt klärt in der Dokumentation klar über die Folgen für Jugendliche auf, die aufgrund all dieser Tricks dem Internet verfallen sind. Es gibt absoluten Anstieg bei Depressionen, Angststörungen, bei selbstverletzendem Verhalten und Selbstmord in den letzten acht Jahren, den viele Sozialpsychologen auf den Gebrauch von Social Media zurückführen. Selbstwert und Identität der jüngeren Generation werden massiv beeinflusst, zum Beispiel durch unrealistische Schönheitsideale. Jugendliche haben weniger Sozialkontakte denn je zuvor, dafür eine durchschnittliche Screentime von mehr als fünf Stunden pro Tag. Eine interessante Nebeninfo aus der Doku ist, dass die Ex-Mitarbeiter der Techunternehmen ihren eigenen Kindern Social Media strengstens verbieten, weil sie diese Schäden bei ihnen vermeiden wollen.

Exit the Cycle

Zum Glück gibt es Wege, um der „digitalen Gefangenschaft“ zu entkommen. Dabei geht es aber nicht darum, krampfhaft weniger Zeit an unser Handy zu verschwenden, sondern einfach mehr Zeit in unser „echtes Leben“ zu investieren. Wir müssen anfangen, unser Handy weniger als eine böse Versuchung zu sehen, sondern mehr als Hindernis für ein gelingendes Leben. Das schaffen wir, indem wir uns Limits für unseren Handygebrauch setzen und die neugewonnene Zeit mit Dingen, die wir lieben, füllen. Dazu hat niemand anderer als Tim Kendall, früherer Vorstand von Facebook und Pinterest, drei praktische Tipps gegeben.

Raus aus der Handy-Falle!

Tipps von Tim Kendall, früherer Vorstand von Facebook und Pinterest

1. Check deine Screentime

Finde heraus, wie viel Zeit du eigentlich am Handy verbringst, damit du dir ein neues Ziel setzen kannst. Verwende dafür die Screentime App.

2. Benachrichtigungen ausschalten

Etwas, das uns immer wieder dazu bringt, unser Handy in die Hand zu nehmen, sind Pop-up Benachrichtigungen. Wenn du die Benachrichtigungen ausschaltest, bist du weniger verführt, immer zuzugreifen und dich ablenken zu lassen.

3. Stelle Limits auf

Das ist definitiv der schwierigste Punkt, der aber am besten hilft, tatsächlich weniger Zeit auf deinem Handy zu verbringen.

APP-LIMIT: Begrenze, wie viel Zeit du auf spezifischen Apps verbringst (z.B. maximal 30 Minuten auf Instagram).

ZEIT-LIMIT: Setze Zeitbegrenzungen für den Tag (z.B. Kein Handy zwischen 12:00 und 15:00).

RAUM-LIMIT: Lege eine Zeit am Abend fest, ab der du dein Handy aus deinem Schlafzimmer bringst. Das ist für viele das schwierigste Limit, aber auch das effektivste, weil du dich an eine Routine ohne Handy gewöhnst.

Radio Maria

Radio Maria Jugendsendung: Xpect
vom 1. Februar 2021

“BRENN:PUNKT ‘Social Dilemma’: Pro und Contra von YouTube, WhatsApp, Facebook und Co.”, mit dem YOU! Team

Radio Maria Jugendsendung: What’sUp
vom 1. Februar 2021

YOU!R:STUFF,  Social Media Talk mit dem YOU! Team

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