Alle, die unser Magazin aufmerksam lesen kennen ihn schon: den Fortsetzungsroman von der Wiener Autorin Veronika Grohsebner. Jetzt kannst du ihn auch auf unserer Homepage nachlesen. Neben weiteren Benjamin Coleman-Romanen (auch bereits von YOU! unter die Lupe genommen:)) schreibt sie momentan auch an dieser spannenden Geschichte rund den Jungen Pepito. Wer die Romane um Benjamin Coleman und vor allem auch ihre Vorgänger-Trilogie rund um Alan Jason kennt, wird sicher auch die ein oder andere bekannte Person in diesem Spin-off wiedererkennen. Viel Spaß beim Lesen des zweiten Teils “Der Einbruch”! Fortsetzung folgt…

Pepito erreichte die Lieferantenzufahrt zum Lagerhaus. Die zwei Meter hohe Mauer versperrte die Sicht in den Hof. Videokameras und Alarmanlage sicherten die massive Schiebetür, die ganze Anlage war hell beleuchtet. Etwas abseits und außerhalb des Bereichs, der von den Überwachungskameras oder vom Lichtkegel erfasst wurde, hatten sich acht junge Männer versammelt.

Rodrigo Montez, etwa zwei Jahre älter als Pepito und dessen bester Freund, zischte nervös: „Du bist spät dran!“

Pepito zuckte die Achseln. „Chill, Alter. Die paar Minuten. Wen interessiert’s?“

„Verdammt, hier geht’s um was“, fuhr ihn Luis Ortiz, der Anführer der 68th Street Gang an. „Wenn ich mich auf einen meiner Männer nicht verlassen kann, mach ich ihn kalt. Klar?“

Nun doch etwas eingeschüchtert, versuchte Pepito dennoch, sich unbeeindruckt zu geben. „Hab’s verstanden. Wird nicht wieder vorkommen.“

Luis, ein etwa zwanzigjähriger großer und kräftig gebauter Mexikaner, starrte dem Burschen kalt in die Augen, bis dieser schließlich den Blick senkte und unruhig von einem Fuß auf den anderen trat. Jetzt erst ließ Luis von ihm ab.

Da bewegte sich plötzlich die schwere Schiebetür lautlos auf ihren Schienen und öffnete sich einen schmalen Spalt weit. Ein junger Mann zeigte sich in der Öffnung.

„Schnell! Kommt rein!“

Die Gangmitglieder zwängten sich nacheinander durch den Spalt, gleich darauf schob der junge Mann die Tür wieder zu. Während sie über den Hof zum Eingang liefen, erklärte er mit unterdrückter Stimme: „Die Sicherheitsvideos laufen in einer Schleife, die Alarmanlage ist ausgeschaltet. Wir haben freie Hand. Trotzdem müssen wir uns beeilen.“

Sergio, ein Cousin von Rodrigo, war als Lagerarbeiter angestellt. Oder eher eingeschleust. Der Coup war seit einigen Wochen geplant. Ein Kleinlaster des Unternehmens stand mit offener Ladeklappe an der Rampe bereit. Gleich darauf gelangte die Meute in die riesige Lagerhalle. Regalreihe um Regalreihe erhob sich bis zur Decke, Schachteln unterschiedlicher Größen stapelten sich darauf. Darin befanden sich teure Elektronikgeräte: Fernseher, Computer, Bildschirme, Musikwiedergabegeräte, Videokameras, Smartphones.

Luis verteilte die Aufgaben, gleichzeitig streifte er sich Einweghandschuhe über, um keine Spuren zu hinterlassen. „Rodrigo, du stehst im Hof Schmiere. Sergio, du bringst Pepito nach vorn.“ Er fasste den Burschen ins Auge. „Du passt auf, dass uns von dort niemand überrascht. Kommt jemand, dann schickst du mir sofort eine WhatsApp. Und nimm das für alle Fälle.“ Er zog aus der Innentasche seiner Jacke eine Pistole hervor und drückte sie Pepito in die Hand.

Pepito war überwältigt. Dass Luis ihm eine Schusswaffe anvertraute, zeugte von großem Vertrauen und einer Wertschätzung, die er von dem Anführer nach dem Auftritt soeben nicht erwartet hatte.

„Macht schon! An die Arbeit! Nehmt nicht zu viel von dem großen Zeug. Am besten gehen Smartphones!“

Sergio packte Pepito am Arm und die beiden liefen durch die Halle zu den Büroräumen im vorderen Teil des Gebäudes.

„Von hier aus hast du den besten Überblick.“ Sergio deutete auf die Eingangstür aus Glas. Auch hier war der weitläufige Firmenparkplatz, umgeben von einem stabilen Metallgitterzaun samt Schiebetor aus demselben Material, hell erleuchtet und gesichert. „Renn nicht hinaus. Da draußen hab ich die Alarmanlage nicht ausgeschaltet. Und baller nicht grundlos einfach so drauf los. Dass Luis dir die Knarre gegeben hat, ist eine echt blöde Idee. Aber er ist der Chef. Der weiß wahrscheinlich, was er tut.“

Sergio lief wieder zu den anderen zurück.

Für einen Moment vergaß Pepito auf seine Aufgabe. Mit einem breiten Grinsen betrachtete er die Waffe. Es war eine 9mm Taurus. Erst vergewisserte er sich, dass die Pistole gesichert war; sollte sich zufällig ein Schuss lösen, wäre Luis wohl ziemlich sauer. Dann brachte er die Waffe in Anschlag, zielte auf den Gummibaum auf der anderen Seite der Eingangstür und probierte verschiedene Posen aus, die er in Filmen gesehen hatte.

Stolz erfüllte ihn. Im hellen Lichtschein, der von draußen ins Gebäude kam, betrachtete er die Tätowierung an seinem rechten Handrücken: die Zahl „68“. Die Gang war seine Familie, für sie würde er alles tun. Er brannte darauf, sich in den Augen von Luis bewähren zu können.

Plötzlich hob er den Kopf und lauschte angestrengt. Nein, er hatte sich nicht getäuscht. Es waren die Sirenen von Polizeiautos, erst kaum wahrnehmbar, aber sie kamen rasch näher und wurden immer lauter. Verdammt! Waren sie aufgeflogen? Oder galt der Einsatz doch nicht ihnen? Einen Augenblick später gab es keinen Zweifel mehr. Einsatzfahrzeuge brausten heran und blieben vor der Schiebetür stehen, diese öffnete sich langsam und behäbig.

Pepito schob die Pistole in den Hosenbund. Keine Zeit mehr, eine Nachricht zu schreiben, es ging schneller, wenn er seine Leute persönlich warnte. Schon rannte er los, zurück in die Lagerhalle. Auch vom Lieferanteneingang her konnte er herannahende Polizeisirenen hören. Pepito lief schneller. Doch in der Halle war niemand mehr. Er hörte, wie der Kleinlastwagen im Hof gestartet wurde, und konnte es nicht glauben.

„He, wartet auf mich!“, schrie er. Da sah er, wie der Lastwagen durch das geöffnete Tor abfuhr und an Fahrt gewann. Kaum war er verschwunden, fuhren die Einsatzwagen heran. Für einen Moment war Pepito wie gelähmt, dann rannte er zurück ins Lagerhaus. Im untersten Fach eines Regals ganz hinten in der Halle verkroch er sich und schob die große Schachtel eines Flachbildschirms vor sich. Als die Polizisten das Lager betraten, machte er sich so klein wie möglich und wagte kaum zu atmen.

Text: Veronika Grohsebner/Beitragsbild: Getty Images