Dieser Artikel beginnt anders, als man es vermutlich erwarten würde, nämlich mit einer Reise nach Afrika. Ich durfte letztes Jahr meine Weihnachtsferien in Kamerun und im Kongo verbringen.

Zurück in Österreich fragte man mich immer wieder, was für mich das Beeindruckendste dieser Reise war. Nach dem dritten Mal fragen, musste ich nicht mehr lang überlegen, ganz klar, die Erkenntnis, warum Vorurteile existieren und wie sie funktionieren.

Aber fangen wir nochmal von vorne an. Es ist der 19.12, am Flughafen Wien. Gemeinsam mit meiner besten Freundin Eva bestieg ich den Flieger Richtung Yaounde/Kamerun, um den Salesianer Simplice bei seiner Heimatprimiz, also seiner ersten Messe als neuer Priester, zu begleiten.
In der Hauptstadt Kameruns angekommen, begann meine Überforderung.
Schwüle 30°, anstatt 0° und Schnee, !?Impfpasskontrolle!?, schäbige Ankunftshalle, fragwürdige Geldwechsler und ein neuer Kontinent.  „Willkommen in Afrika,“ dachte ich mir. Am Flughafen erwartete uns, Gott sei Dank, Simplice. Gemeinsam mit ihm fuhren wir in den Süden Kameruns, in seine Heimatstadt Ebolowa.
Auf der zweistündigen Autofahrt sah ich zum ersten Mal diese wunderschöne Natur und diese unglaublich rote Erde. Die nur so vor Leben sprießt. Ich begann zu verstehen, warum dieser Kontinent Mama Afrika oder Wiege des Lebens genannt wird. Aber wir stießen auch auf kaputte Straßen, Dörfer bestehend aus Lehmhütten und einer interessanten Interpretation der Straßenverkehrsordnung, die zu einem großen Teil aus Hupen besteht.
Der erste Schock nach dem Ankommen am Flughafen hatte sich eigentlich bereits gelegt, als wir jedoch die Stadtgrenzen Ebolowas, nach insgesamt 19 Stunden auf den Beinen, passierten, kam dieses mulmige, ungute Gefühl in der Magengegend wieder auf. Unser erster Eindruck der Stadt kam einem Schock gleich. Bis zu fünf Personen auf einem Motorrad, dreckig, laut, stickig, lediglich die Hauptstraße asphaltiert und viele schwarze Menschen.

Die Landessprache in Kamerun, wie in vielen Teilen Afrikas, ist Französisch. Da Eva und ich, wenig bis gar nicht Französisch sprechen, hat dies natürlich die allgemeine Kommunikation erschwert.
Zu unserem großen Glück sind derzeit, die beiden Volontärinnen Lisa und Maria im Don Bosco Haus Ebolowa, in dem wir unser Quartier bezogen.
Ein riesiges Areal mit Gymnasium, Internat, Sportplatz, Berufsschule (für Elektriker, Tischler, Mechaniker und Informatiker) Radiostation, und Noviziat.

So viel zu den Rahmenbedingungen…

Gleich nach unserer Ankunft bekamen wir eine persönliche Führung von den beiden Mädchen.  Danach, müde, überfordert, und total überwältigt bzw. eher überfordert von den vielen neuen Eindrücken ging es nach dem Mittagessen auf den Markt. Und damit beginnt meine eigentliche Erfahrung.
Der Markt in Ebolowa lässt sich mit nichts in Europa vergleichen. Am ehesten kommen die Einkaufsstraßen in italienischen Touristenmetropolen ran. Bunt, schrill, laut, stickig, riesig, von H&M Hosen über die „originale“ RayBan Brille bis hin zu Kochbananen und Hühnern fand sich nahezu alles auf diesem Markt. Es lagen Gerüche in der Luft, die sich nicht im Entferntesten zuordnen ließen. Mittendrin wir vier hellen Europäer. Die Leute drehten sich nach uns um, glotzen teilweise so richtig, riefen noch einen frechen Spruch nach.
Mein Unwohlsein stieg von Sekunde zu Sekunde. Es war verrückt. Ich dachte mir, an jeder Ecke wartet ein Verbrecher und will mir etwas Böses. Jeden Moment rechnete ich damit, dass mich jemand bestehlen würde. Ich fühlte mich wie gelähmt.  Es mag absurd klingen, aber in mir erwuchs eine echte Furcht, draußen bei den Menschen zu sein, und ich wollte einfach nur zurück in mein Zimmer. Da ich jedoch in Gesellschaft dreier bezaubernden Frauen war, konnte ich weder schnell nach Hause laufen, um dem „bösen schwarzen“ Mann zu entfliehen, noch konnte ich zugeben, dass ich alle Menschen hier verabscheute.

Natürlich war all meine Sorge total unbegründet und wir „schafften“ es unbeschadet wieder zurück ins Projekt (siehe Oben). Ich war fertig, aber auch total erleichtert, als wäre ich der größten Katastrophe meines Lebens entronnen, als hätte ich eine Schlacht um Leben und Tod gerade so gewonnen.
Ja, dieser Marktbesuch wirkt, als wäre es ein richtiges Abenteuer gewesen. Aber ganz ehrlich, und das verstand ich erst einige Tage später, war es jedoch nicht viel anders, als in Wien auf der Mariahilferstraße shoppen zu gehen.  Lediglich die Menschen waren anders und ein paar neue gewöhnungsbedürftige Düfte kamen dazu.  Im Zimmer fühlte ich mich wie in einer sicheren Burg, als könnte mir hier drin niemand etwas antun und am liebsten hätte ich mich die nächsten zwei Wochen hier drin eingesperrt.

Als sich die beiden Volontärinnen bei uns entschuldigten, dass sie uns heute nicht mehr zeigen konnten, hatte ich große Mühe, meine Freude darüber zu verbergen.

Nach dem Abendessen fielen wir völlig erschöpft ins Bett. Am nächsten Morgen, waren wir alleine, da die beiden Mädchen arbeiten mussten. Und da begann ich darüber nachzudenken, warum ich so abgeneigt gegenüber den Menschen hier war, warum ich mich so unwohl fühlte, warum ich so Angst davor hatte massakriert oder sonstiges zu werden, warum ich glaubte, dass jeder hier mir etwas Böses wollte und an jeder Ecke ein Verbrecher lauerte…
Denn ich wusste, dass das einfach nicht sein kann. Die Leute hier sind ja genauso Menschen wie du und ich. Haben Familie, Freunde, ein normales Leben. Und rein logisch gesehen, kann hier nicht jeder ein Verbrecher sein. Das geht sich einfach statistisch nicht aus.
Und da begann ich meine Angst zu verstehen. Ich kannte diese Kultur nicht, dieser Kontinent war mir fremd, die Leute waren mir neu, das Klima ungewohnt, das Essen war anders, ja sogar das Schlafen war komisch (unterm Moskitonetz). Vieles hier war mir fremd, unbekannt, neu.

Da wurde mir bewusst, dass wir Menschen das am meisten fürchten, was wir nicht kennen. Wir haben Angst vor dem Unbekannten. Wir fürchten uns vor Dingen, die uns fremd sind und die wir nicht einschätzen können.
Ein philosophischer Mensch hat zu mir mal gesagt, wir können nur das lieben, das wir auch kennen.  Umgekehrt mögen wir Dinge nicht, die uns sonderbar sind.
Außerdem wird hier in Europa oft ein anderes Bild von Afrika gezeichnet. Armut, Rückständigkeit, Gewalt, Konflikte, Gefahr, Hinterweltler. Wir kommen nach Afrika, haben all diese Bilder im Kopf und können nicht mehr objektiv sein.

Nach meiner Erkenntnis versuchte ich offen zu sein, ging mit den Don Bosco Brüdern auf den Markt, lernte die Menschen kennen und legte meine Brille der Vorurteile ab. Siehe da, es war genial und so befreiend.
Die zwei Wochen in Afrika waren einer der genialsten und intensivsten Erfahrungen in meinem Leben und könnten vermutlich ganze Bücher füllen. Aber darüber an einer anderen Stelle mehr.
Und damit kommen wir auch wieder an den Anfang zurück. Warum hat die Oma Gerti so große Angst vor dem Mahmud? Weil sie ihn nicht kennt. Weil sie noch nie etwas mit ihm oder einem anderen Ausländer zu tun hatte und weil sie jeden Tag in der Zeitung nur das Schreckliche über die Flüchtlinge liest.

Und darum hat die Oma Gerti so viel Angst vor dem Mahmud aus Syrien, obwohl sie ihm noch nie begegnet ist.
Ja, ich musste erst nach Afrika fahren, um zu verstehen, wie Angst und Vorurteile funktionieren.