Viele von uns kennen sie – diese Momente, in denen die Gedanken wie ein wildes Karussell durch den Kopf rasen und wir uns fragen: „Was, wenn ich scheitere? Was, wenn ich die falsche Entscheidung treffe?“ Ängste begleiten uns im Alltag: die Sorge um die Zukunft, das Versagen in der Schule, Uni oder im Job oder auch die Angst, nicht dazuzugehören. Doch was wäre, wenn diese Ängste nicht nur Hindernisse, sondern auch Hinweise darauf sind, was uns wirklich wichtig ist? Und wie können wir lernen, mit ihnen umzugehen, ohne von ihnen überwältigt zu werden?
Autorin: Elena Walch ist Theologin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Sie ist kürzlich frisch verheiratet in ihre Heimat Vorarlberg zurückgekehrt. Ihr Herz schlägt für die psychische Gesundheit – vor allem in den kleinen, alltäglichen Momenten des Lebens.
Was sind Alltagsängste?
Was sind nun diese Alltagsängste? Sie sind die Sorgen und Ängste, die uns regelmäßig begleiten. Manchmal sind sie klar, oft aber schwer zu fassen. Es kann die Angst vor der Zukunft sein, aber auch die Sorge, in der Schule oder im Studium nicht gut genug zu sein, oder die Frage, ob ich in meinem Freundeskreis, in meiner Gemeinde oder im Verein wirklich so akzeptiert werde, wie ich bin. Diese Ängste sind völlig normal, denn jeder von uns muss jeden Tag Entscheidungen treffen, sich Herausforderungen stellen und mit der Ungewissheit der Zukunft umgehen. Wichtig dabei ist, dass wir uns mit unseren Ängsten auseinandersetzen, denn genau sie können uns entweder lähmen oder zu Höchstleistungen antreiben.
Und wie unterscheiden sich Sorge und Ängste?
In der Existenzanalyse, einer Psychotherapieschule, die in ihren Ursprüngen auf Viktor Frankl zurückgeht, wird Angst als eine grundlegende Reaktion auf das Ungewisse gesehen – sie weist darauf hin, dass wir vor einer Herausforderung stehen oder in einer Situation der Unsicherheit sind. Angst ist diffus und richtet sich oft auf etwas, das wir nicht klar benennen können. Sorge hingegen ist konkreter: Sie betrifft etwas, das uns wichtig ist, und sie zeigt, dass wir Verantwortung übernehmen wollen. Während Angst uns eher lähmen oder in die Flucht treiben kann, hat Sorge eine aktive Komponente – sie ruft uns auf hinzusehen, zu gestalten oder Lösungen zu suchen. Beides, Angst und Sorge, sind menschlich, doch erst die bewusste Auseinandersetzung mit ihnen zeigt, ob sie uns blockieren oder voranbringen.
„Wer sich Sorgen macht, lebt doch gar nicht im Moment.“
Das stimmt nicht ganz. Sich zu sorgen, ist eine zutiefst menschliche Reaktion. Wir sorgen uns um das, was uns wichtig ist – also um Dinge, die für uns einen Wert haben. Natürlich können zu viele Sorgen uns vom Jetzt ablenken und uns in die Zukunft entführen, aber sie zeigen uns, was uns wichtig ist. Sorgen entstehen oft aus dem inneren Drang, Verantwortung zu übernehmen und im Leben oder im Leben der Menschen, die uns wichtig sind, etwas zu gestalten. Doch Sorgen können auch überwältigen, und dann kann es wirklich passieren, dass wir den Moment nicht erleben, weil wir in unseren Ängsten gefangen sind.
In der Existenzanalyse wird Sorge als Teil unserer Freiheit und Verantwortung gesehen – wir kümmern uns, weil wir etwas zu verlieren haben. Doch wie können wir diese Sorgen in den Griff bekommen, ohne dass sie unser Leben dominieren? Denn die Grenze zwischen gesunder Sorge und lähmender Angst ist oft fließend.
Vertrauen als Gegenpol zur Angst
Hier kommt das Vertrauen ins Spiel. Es steht auf der anderen Seite der Angst und der Sorge. Vertrauen funktioniert auch in einer ungewissen Zukunft, wenn wir nicht alle Antworten haben. Mit Vertrauen wird das Leben in der Unsicherheit wesentlich leichter. In schwierigen Momenten oder wenn die Sorgen zu groß werden, kann uns das Vertrauen in Gott und in uns selbst den Halt geben, den wir brauchen, um trotz allem den Mut zu finden, voranzuschreiten und nicht zurückzubleiben.
Melanie Wolfers, Theologin, Bestsellerautorin und Ordensfrau, beschäftigt sich in ihren Büchern und Vorträgen intensiv mit den Themen Vertrauen, Lebensmut und innerer Freiheit. In ihrem Buch „Trau dich, es ist dein Leben“ schreibt sie, dass Vertrauen ein inneres Ja zum Leben bedeutet – nicht, weil es immer leicht ist, sondern weil wir eine tiefe Zuversicht spüren, dass wir auch die schwierigen Phasen meistern können. Sie spricht davon, dass Vertrauen uns nicht nur in uns selbst verwurzelt, sondern auch in Beziehungen und in der spirituellen Dimension unseres Lebens. Vertrauen wächst, indem wir uns auf den Weg machen, auch wenn wir nicht alles verstehen oder kontrollieren können. Es ist eine Entscheidung für das Leben, die uns Kraft gibt, unsere Ängste anzunehmen, ohne von ihnen bestimmt zu werden.
Der Balanceakt: Sorge und Vertrauen im Alltag
Im Leben geht es immer wieder darum, die Balance zwischen Sorgen und Vertrauen zu finden. Einerseits dürfen wir uns nicht von Ängsten beherrschen lassen, wie Viktor Frankl sagt: „Man muss sich ja nicht alles von sich gefallen lassen.“ Andererseits ist es keine Lösung, blind zu vertrauen und unsere Ängste zu verdrängen. Sorgen sind nicht nur belastende Gedanken – sie zeigen uns, was uns wirklich wichtig ist, sei es die Zukunft, Beziehungen oder unsere Gesundheit. Vertrauen gibt uns hingegen die innere Ruhe, gelassen zu bleiben, auch wenn nicht alles unter unserer Kontrolle ist. Es ermutigt uns, neue Schritte zu wagen, während wir darauf vertrauen, dass wir nicht allein gehen. Der christliche Glaube erinnert uns daran, dass wir unsere Sorgen Gott anvertrauen dürfen. In 1. Petrus 5,7 heißt es: „Werft alle eure Sorgen auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Diese Zusage schenkt uns tatsächlich die Gewissheit, dass wir mit unseren Sorgen nicht allein gelassen werden und in jeder Herausforderung von Gott begleitet sind.
Zwischen Sorge und Vertrauen leben: Wie geht das?
Es gibt viele Wege, wie wir den Balanceakt zwischen Sorge und Vertrauen meistern können. Hier einige praktische Impulse:
Der Mut zur Ungewissheit
Am Ende gibt es nicht den einen richtigen Weg, wie wir mit unseren Ängsten umgehen. Es geht vielmehr darum, den Mut zu haben, uns der Ungewissheit des Lebens zu stellen. Die Ängste und Sorgen, die wir haben, sind Teil unseres Lebens. Wenn wir ihnen mit Vertrauen begegnen, können sie uns dabei helfen, zu wachsen und uns weiterzuentwickeln. Sorge und Vertrauen sind wie zwei Seiten einer Medaille – sie gehören zusammen und führen uns auf einem spannenden Weg durch das Leben.
Hinterlasse einen Kommentar