Ein gütig lächelnder Mann im Streifenpulli tritt an das Rednerpult. Torsten Hartung erzählt seine Geschichte: Schläger, Mafia, Mörder. Und nun gibt er Zeugnis vor Jugendlichen in einer Kirche.

Vater schlägt Mutter, Mutter schlägt Kinder, Kinder schlagen sich untereinander. Aufgewachsen in einer atheistischen und gewalttätigen Familie, prägen besonders zwei Erlebnisse die Erinnerung an seine Kindheit. Torsten erzählt:

Ich war sieben Jahre alt, war auf dem Nachhauseweg von der Schule und spielte mit meiner Lederbrottasche, bis der Lederriemen abriss. Ich war mir jedoch sicher, dass meine Mutter das problemlos reparieren könnte, und machte mir deswegen nicht zu viele Sorgen. Was ich nicht wusste, war, dass meine Mutter in der Zwischenzeit einen Konflikt mit meinem Vater gehabt hatte. Sie kochte gerade das Essen und ich kam zu ihr und sagte: „Schau mal Mama meine Brottasche ist kaputt geworden, kannst du mir sie wieder heil machen?“ Da drehte sie sich um, schlug mir mit der Hand ins Gesicht und hörte nicht auf, auf mich einzuschlagen. Ich war völlig verwirrt, dachte, es war ja nur eine Brottasche. Da sie nicht aufhörte und ich anfing, aus der Nase zu bluten, floh ich unter den Küchentisch, an dem meine kleine, fünf Jahre alte Schwester saß. Meine Mutter packte mich an meinem Bein, zerrte mich hervor und prügelte weiter auf mich ein, bis ich auch aus dem Ohr blutete. Auf einmal ließ sie von mir ab, ging aus der Küche und drohte damit, dass sie sich aufhängen werde. Ich folgte meiner Mutter in Richtung Dachboden. Dort stand sie schon auf einem alten Küchenstuhl, hatte eine Wäscheleine um den Hals geschlungen und als sie mich sah, wiederholte sie: „Ich werde mich jetzt aufhängen und du bist an allem schuld.“ Ich zerrte vor lauter Panik an ihrem Bein, aber meine Mutter stieß mich mit ihren Füßen immer von sich. So ergriff ich das andere Ende der Wäscheleine und in meiner Verzweiflung fiedelte ich daran mit einem Küchenmesser herum, als meine Mutter auf einmal meinte: „Hör auf, die Wäscheleine gehört Müller.“ Die Wäscheleine war wichtiger als ich. In diesem Augenblick zerbrach in mir das Urvertrauen, geliebt zu sein.

Als Torstens Vater später an diesem Tag nachhause kam, tischte ihm seine Mutter eine Lügengeschichte auf, dass er etwas ausgefressen habe. Während sein Vater ihn zur Strafe dafür verprügelte, zerbricht auch noch ein zweites in ihm, das Gefühl für Gerechtigkeit. Drei Jahre später, mit zehn, kam er eines Tages wieder einmal mit einer Eintragung über sein negatives Verhalten im Hausübungsheft nach Hause. Sein Vater prügelte ihn solange, bis seine Mutter ihn mit den Worten stoppte: „Hör auf, du schlägst den Jungen sonst tot.“ Wurde Torsten bis zu diesem Zeitpunkt in der Schule immer von anderen Jugendlichen verprügelt, ohne sich zu wehren, hatte er nun genügend Wut, zurückzuschlagen, und verdiente sich so Respekt bei seinen Mitschülern.

Ich dachte, ah, so funktioniert das und fing an, mich in der Schule, im Hof, eigentlich überall herumzuprügeln und sagte immer: „Wenn du gewinnen willst, musst du mich totschlagen.“ Und diese Entschlossenheit hat meinem Gegenüber Angst gemacht. So wurde ich zu einem Schläger. Mit 15 Jahren hat mich mein Vater das letzte Mal geschlagen, ich hatte mich emotional soweit zurückgezogen und abgehärtet, dass ich mich vor ihm aufbaute und sagte: „Was ist denn los, ich dachte, du wolltest mich totschlagen?“ Und auf einmal bekam mein Vater vor mir Angst, weil er merkte, dass er mich mit seiner Gewalttätigkeit nicht mehr kontrollieren konnte.

Nachdem ihn seine Eltern von zu Hause rausgeschmissen hatten, kehrte er jedoch nach einer Woche auf der Straße zurück und drohte seinen Eltern mit der Polizei, wenn sie ihm bis zu seinem 18. Lebensjahr nicht Unterkunft gewähren würden. Ohne Orientierung, Hemmung und vor allem ohne Liebe gingen diese nächsten drei Jahre vorüber. Mit 18 kam Torsten zum ersten Mal ins Gefängnis, wo er die folgenden zwei Jahre mit Unterbrechungen immer wieder landete. Ein Wendepunkt trat ein, als er ein Mädchen trifft, das sich in ihn verliebte.

“Das erste Mal fühlte ich mich angenommen”

Das erste Mal hatte ich das Gefühl, dass ich so angenommen bin, wie ich wirklich bin, trotz meiner Schwierigkeiten, die sie sehr wohl bemerkte. Und ich zog zu ihr in eine andere Stadt und dachte, jetzt kann ich neu anfangen. Aber ich nahm ja meine Geschichte mit und so war es eigentlich nur eine Verlagerung in einen neuen Ort, auch dort wurde ich zum Schläger.

Nach 7 1/2 Jahren zerbrach schließlich auch diese Beziehung, zum gleichen Zeitpunkt als Torsten die Prüfung für seine Ausbildung abbrechen musste. Alles, was ihn bisher gehalten hatte, die Arbeit und die Liebe zu dem Mädchen, stürzten zusammen. Scheinbar am Ende kommt ihm auf einmal Goethes Faust in den Sinn und er erinnert sich, dass da jemand seine Seele verkauft hat. Er verkauft seine Seele dem Teufel.

Und so sprach ich in diese unsichtbare Wirklichkeit hinein, ohne zu wissen, dass es sie gibt – sonst hätte ich es nicht getan: Du kannst meine Seele haben, ich scheiß auf mein Leben. Aber ich will eineinhalb Jahre leben wie ein König auf dieser Welt und dann kannst du sie haben.

Bald darauf ist Torsten in eine kriminelle Organisation verwickelt, dem damals größten europäischen Autoschieberring, und verdient in der Woche 90.000 Dollar. Der Deal mit dem Unsichtbaren scheint aufzugehen. Die Organisation wächst und Torsten entwickelt sich zum Kopf der Sache.

“Ich wollte die Organisation disziplinieren.”

Die Organisation wuchs auf 50 Jungs und eine kriminelle Gemeinschaft kann nur geführt werden durch Angst. Einer der Jungs hieß Dieter, wie mein Vater, und er versuchte meine Position in Frage zu stellen. Ich wollte die Organisation disziplinieren. Und so habe ich ihn erschossen. Vor euch steht ein verurteilter Mörder.

Es war der 20. Juni 1992. Drei Wochen später reiste Torsten auf eine Insel und kam an einen Wallfahrtsort, wo man Gebetsanliegen in eine Box am Kirchenausgang werfen konnte.

Ich kam aus der Kirche heraus und hatte für mich auf einmal ein Gefühl, angenommen zu sein, konnte es aber nicht einordnen, wo es herkam. Und ich dachte mir: „Hey, das ist ja hier wie bei ‚Wünsch dir was!‘. Also schrieb ich auf einen Zettel meinen Wunsch: Ein Leben in Glück.

Als Torsten am nächsten Tag Paragleiten geht, reißt auf einmal die Thermik ab und er stürzt aus 50 Metern auf Felsen. Wie durch ein Wunder überlebte er den Aufprall nur mit einem Bluterguss! Anstatt sich jedoch darüber zu freuen, ärgerte es ihn, dass er die Aufmerksamkeit der Zuschauer nicht durch einen coolen Flug bekommen hatte können.

“Jesus, gib mir eine zweite Chance!”

In was für einem katastrophalen innerlichen Zustand habe ich mich befunden? Aber Gott hat diesen Zettel nicht vergessen. Drei Wochen später werde ich von Interpol in Schweden verhaftet. Die ganze Organisation fliegt auf. Ich komme sofort in Einzelhaft. Ich fing an, ein Tagebuch zu schreiben, weil ich ein Gegenüber brauchte. Ostern 1998 schaute ich mir so einen Jesusfilm an und schrieb in mein Tagebuch: „Hey, Jesus, hey, du hast eine zweite Chance gehabt, ne? Gib auch mir eine zweite Chance.“

Drei Wochen später, am 15. Mai 1998, lag ich auf meinem Zellenbett. Die Frage meiner Schuld beschäftigte mich nach wie vor. Da fing ich an zu beten, ohne zu wissen, dass es beten ist. „Hey, Gott, ich weiß nicht, ob es dich gibt, ich weiß es wirklich nicht. Aber wenn es dich gibt, dann schenk mir bitte ein neues Leben, ich will dieses Leben nicht mehr.“ Und während ich weinte, vernahm ich auf einmal glasklar: „Ich weiß.“ Die Stimme hat nicht gesagt: „Was hast du getan?“, sondern sie war voller Barmherzigkeit und Liebe. Ich wusste, die Wörter heißen nichts anderes als: „Sohn, ich kenne dein Leben. Ich weiß.“ Das hat mich so sehr erschüttert! GOTT IST!!!

Von diesem Tag an war alles verändert, alles wie neu. Seine Mithäftlinge bemerkten die Veränderung und hielten ihn für verrückt. Torsten aber wollte herausfinden, verstehen, woher diese Stimme kommen hatte können, und versuchte Antworten in Büchern zu finden. Ein christlicher Sozialarbeiter erkannte, dass da irgendetwas passiert war, und gab ihm seine erste Bibel.

“Nimm und schlage auf!”

Drei Monate nach dem 15. Mai 1998 kam diese wunderbare Stimme wieder. Ich liege auf dem Bett, mein Blick auf die Rückwand der Bibel, die im Regal stand, und die Stimme sagte: „Nimm und schlage auf!“ Und ich tat es, ich nahm die Bibel heraus, schlug sie auf und mein Blick fiel direkt auf einen Satz: 1. Johannes 1,9: „Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht und vergibt uns unsere Schuld. Wenn wir aber sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn, Christus zum Lügner.“ Und ich schmiss das Buch in die Ecke. Trotzdem ließ es mich nicht los: Ist mir wirklich all meine Schuld vergeben?! Zwei Monate später, diese wunderbare Stimme kommt wieder. Ich schlug das Buch wieder auf, bei Epheser 2. Vom Tod zum Leben: „Und ihr wart tot, gefangen in euren Sünden, von Natur aus Kinder des Zornes und des Ungehorsams, aber Gott in seiner großen Barmherzigkeit hat euch frei gemacht. Nicht aus Verdiensten, sondern aus Gnade, und ihr seid vorbereitet für gute Werke.“ Diesmal schmiss ich das Buch nicht in die Ecke. Ich signalisierte meinem Anwalt, ich möchte klaren Tisch machen. Ich wollte mich jetzt verantworten für das, was ich wirklich getan habe.

Statt den 28 Jahren, bekommt Torsten nur 15 Jahre Haft und zwei Jahre später, am 20. Juni 2000, lässt er sich im Gefängnis taufen. Viel später erst bemerkte er, dass es der Todestag seines Opfers war. Heute, sechs Jahre nach seiner Entlassung, ist Torsten ehrenamtlich in der pastoralen Gefängnisarbeit in einem Jugendgefängnis tätig. Dort gründete er eine Gebetsgruppe „Maria hilft“ und versucht den Jugendlichen zu helfen.

Ich sag zu ihnen, entweder bin ich ein Spinner oder es gibt diesen Gott. Setz dich heute Abend in deine Zelle und sprich mit Jesus. Und wenn du Schwierigkeiten hast, stell den Stuhl in die Mitte der Zelle, mach das Licht aus, und stell dir vor, er sitzt da. Sprich mit ihm. Eine Woche später komm ich wieder und seine Augen glänzen. „Du hast es getan! Du hast mit ihm gesprochen!“ Und nun möchte ich euch um etwas bitten. Bitte verwendet etwas Zeit, um für diese Jungs im Gefängnis zu beten. Denn Gebet ist Anteil haben an der Macht Gottes. Lasst uns nicht im Stich, wir brauchen euch!

Beitragsbild: Tobias Bosina