Surfen, Sonnenuntergang und ein Gespräch über die Sehnsucht.

Groß und rot war die Sonne am Horizont. Wie jedes Jahr waren wir im September für unser YOU! Surf Camp wieder nach Portugal gereist. Im Gepäck mit dabei hatten wir Pater Nikodemus, Mönch und Philosoph der Sankt Johannesgemeinschaft, der mit uns jeden Tag im Lemon Tree Garten eine Stunde lang über das Leben philosophierte. An einem Abend sprachen wir am Strand beim Sonnenuntergang über die Sehnsucht. Und über das Fragenstellen.

Wir sitzen hier und staunen über den Sonnenuntergang. Warum fasziniert uns das so?

P. Nikodemus: Vielleicht weil es ein Moment ist, wo sich die materielle Welt zu übersteigen scheint in Schönheit. Vielleicht ist es das. Aber ich glaube auch, weil es etwas ist, was eigentlich in mir ist. Was ich in diesem Sonnenuntergang sehe, ist in gewisser Weise ein Symbol dafür, was in meinem Herzen ist. Es ist schon interessant: Da gibt es eine Begrenzungslinie, wo die Sonne verschwindet, und ich weiß, dass es hinter dieser Linie weitergeht. Normalerweise geht das nicht. Eine Grenze sagt sonst immer, da ist Schluss, da geht es nicht weiter. Der Sonnenuntergang sagt uns aber, dass es weitergeht. Darum schauen wir so gern auf diesen Sonnenuntergang. Er verweist uns darauf, dass unser Leben Sehnsucht ist.

Wie meinst du das? Was ist Sehnsucht?

P. Nikodemus: Sehnsucht ist so etwas wie die Prophezeiung einer Erfüllung. Ich sehne mich nach Vollkommenheit und weiß, dass es die Erfüllung gibt, ohne dass die Erfüllung ganz da ist. Das heißt, ich habe die Gewissheit, dass ich Erfüllung finde, und dadurch habe ich schon in gewisser Weise die Erfüllung, obwohl sie noch nicht da ist. So ist unser Herz gemacht und das ist es, was uns antreibt, zu leben. Also, ich würde am Morgen nie aus dem Bett steigen oder sonst irgendetwas machen, wenn ich nicht die Gewissheit hätte, dass sich meine Sehnsucht erfüllen kann. Ich lebe sozusagen immer „hinorientiert“ auf Erfüllung. Und das ist die Sehnsucht. Das ist die eigentliche Wirklichkeit des Lebens.

Die Liebe ist der einzige Ort, wo ich erfüllt werde, wo ich frei werde.

Wonach sehnen wir uns?

P. Nikodemus: Jeder hat eine Sehnsucht nach Glück, nach Zufriedenheit… Nach einem Mehr, einem Ideal… letztlich nach sich selbst. Am meisten erfahre ich die Dynamik der Sehnsucht aber in der Liebe. Da gibt es eine andere Person, die immer mehr ist, als ich begreifen kann. Der andere hat sozusagen eine sichtbare Grenze, aber ich weiß, dass es da immer weitergeht. Ich kann eine andere Person nie begreifen oder besitzen. Darum ist die Liebe auch der einzige Ort, wo ich erfüllt werde, wo ich frei werde. Hier lebe ich genau in dieser Sehnsucht. Die Erfüllung ist schon da und zugleich noch nicht da. Die Liebe kann immer tiefer werden. Durch die Liebe entsteht die Sehnsucht nach einer tieferen Liebe. Aber wir müssen das vielleicht wieder lernen, dass wir in der Sehnsucht leben und nicht alles schon besitzen.

Ist das heute vielleicht schwieriger, weil wir alles haben, was wir wollen?

P. Nikodemus: Da gibt es sicher ein Problem in unserer heutigen Produktions- oder Konsumgesellschaft. Die tötet unsere Sehnsucht. Denn die Sehnsucht wird funktionalisiert. Das heißt, das Verlangen wird künstlich erzeugt und dann auch gleich befriedigt. Sozusagen erfüllt sich die Sehnsucht, bevor sie überhaupt da war. Aber das menschliche Herz, unser letztes Verlangen bleibt ungestillt. Die Konsumgesellschaft lebt davon, dass sie Begierden produziert und stillt, und dabei aber nur eine Simulation für das Absolute unseres Herzens macht. Das frustriert uns. Das ist ein Grund, warum wir so oft so hoffnungslos sind.

Wir haben es langsam satt, ewig auf dem Sofa zu liegen.

Wie kann man die Sehnsucht wiedergewinnen?

P. Nikodemus: Wenn wir entdecken, dass wir arm sind. Das heißt, wir es zulassen, dass wir uns selbst nicht genug sind. Dass wir es aushalten, nicht sofort alles zu haben. Ich kann schon gesättigt sein in meiner Sehnsucht, und sagen, ich bin eh schon im Ziel. Oder ich mache mir bewusst, dass es noch ein größeres Ideal, eine größere Erfüllung gibt. Das ist es auch, was der Papst beim Weltjugendtag in Krakau gesagt hat, dass wir vom Sofa aufstehen sollen. Dieses Sofa ist unsere Chance heute. Wir haben es nämlich langsam satt, ewig auf dem Sofa zu liegen. Weil es uns frustriert. Wir wollen wieder hinaus auf das Meer.

Wie geht das?

P. Nikodemus: Es beginnt mit der Frage. Das Problem an dem Konsum heute ist, dass die Fähigkeit zu fragen zerstört wird. Die Frage ist die Sehnsucht des Verstandes. Der Konsum zerstört unseren Verstand, weil alles virtuell wird. Daher geht es darum, sich im Leben wirklich Fragen zu stellen. So wird unsere Sehnsucht ganz konkret in einer Frage. Der Frage nach dem Was. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir unsere Sehnsucht in Hoffnung verwandeln. Hoffnung ist eine reale Sehnsucht. Die Hoffnung sagt mir, es gibt tatsächlich ein Ziel und es gibt die Mittel, dorthin zu kommen. Die Kunst des Lebens besteht darin, aus der Sehnsucht eine Hoffnung zu machen.

Text: Michi Cech